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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 19.02.2004
Aktenzeichen: 2 AGH 8/03
Rechtsgebiete: BRAO, StPO
Vorschriften:
BRAO § 143 IV S. 2 | |
StPO § 329 I S. 1 |
Schleswig-Holsteinischer Anwaltsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil
2 AGH 8/03 EV 133/01 = 2 EG 20/02 EV 107/02 = 2 EG 12/03
In dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
wegen Verletzung der Berufspflichten
hat der II. Senat des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichtshofes in Schleswig in der Sitzung vom 19. Februar 2004,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Betroffenen wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass die neben dem Verweis verhängte Geldbuße auf 1.500,-- € festgesetzt wird, die in 3 monatlichen Raten von je 500,-- € zu zahlen ist.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene.
Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen sind durch Urteil des Anwaltsgerichts vom 27. Juni 2003 wegen Verletzung dort näher bezeichneter Berufspflichten die anwaltsgerichtliche Maßnahme des Verweises und die der Geldbuße in Höhe von 2.500,-- € verhängt worden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Betroffenen, die er im Schriftsatz vom 4. Februar 2004 und nochmals in der Berufungshauptverhandlung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt hat.
II.
In der Berufungshauptverhandlung, zu der der Betroffene persönlich nicht erschienen war, sind aufgrund der Einlassung seines Verteidigers sowie der teilweisen Verlesung des erstinstanzlichen Urteils und der vom Betroffenen vorgelegten Einkommensunterlagen folgende für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Feststellungen getroffen worden:
Der Betroffene ist 1954 in Köln geboren. Seit 1984 ist er zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige schulpflichtige Kinder.
Im Steuerbescheid des Finanzamtes Rendsburg für 2001 vom 24. Februar 2003 ist das Einkommen des Betroffenen aus selbständiger Arbeit mit 8.726,-- DM angegeben. Die von ihm vorgelegte Gewinn- und Verlustrechnung vom 1.1.2002 bis 31.12.2002 weist einen Gewinn von 2.283,89 € aus. Ein betriebswirtschaftlicher Kurzbericht zum September 2003 ergibt für die Zeit von Januar bis einschließlich September 2003 ein vorläufiges Betriebsergebnis von 5.196,69 €. Durch Bescheid vom 5.11.2003 der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer ist der Betroffene vom Kammerbeitrag befreit worden.
Berufsrechtlich ist der Betroffene bisher wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Im Jahre 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Kiel gegen den Betroffenen Anklage wegen Widerstands und Beleidigung. Anlass war insoweit, dass er der Aufforderung von Polizeibeamten zur Weiterfahrt, nachdem er im absoluten Halteverbot angetroffen wurde, nicht nachkommen wollte. Das Amtsgericht Rendsburg stellte das Verfahren in der Sitzung vom 20.06.1994 gemäß § 153 StPO ein. Daraufhin wurde das wegen desselben Sachverhalts eingeleitete anwaltsgerichtliche Ermittlungsverfahren EV 16/94 ebenfalls eingestellt gemäß § 113 Abs. 2 BRAO, weil das Verhalten des Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls nicht in besonderem Maße geeignet war, Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
2. Am 06.08.1997 erteilte der Vorstand der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer dem Betroffenen eine Rüge, weil er sein Aufforderungsschreiben an die tatsächliche oder vermeintliche Schuldnerin seiner Mandantin mit dem Hinweis verband, dass seiner Auftraggeberin ein "Übernahmeangebot" eines Inkassounternehmens aus den GUS-Staaten vorliege. Diesen Hinweis muss ein Erklärungsempfänger bei objektiver Würdigung als ein im Ergebnis unzulässiges Mittel ansehen, mit dem die Schuldnerin unter unzulässigem Druck gesetzt werden sollte.
3. Das Amtsgericht Rendsburg verurteilte den Betroffenen am 25.09.2000 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 100,-- DM, weil er am 30.04.1999, nachdem er eine wegen eines schweren Verkehrsunfalls erfolgte Straßenabsperrung durchbrochen hatte, dem Straßenwärter, der ihn darauf aufmerksam machen und an der Weiterfahrt hindern wollte, einen Vogel gezeigt hatte. Die Rechtsmittel des Betroffenen wurden vom Landgericht und Oberlandesgericht verworfen.
4. Die 1. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichts verhängte gegen ihn durch Urteil vom 28.02.2002 im Hinblick auf den disziplinären Überhang der unter 3. aufgeführten Straftat die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines Verweises und einer Geldbuße von 500,-- € - EV 86/00 = 1 EG 24/01 -.
Der Betroffene ist der Ansicht, dass angesichts seiner derzeitigen Einkommensverhältnisse, die er durch Anlagen zum Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. Dezember 2003 und durch die im Hauptverhandlungstermin überreichten Unterlagen belegt hat, die verhängte Geldbuße zu hoch sei.
III.
Die Feststellungen in diesem Verfahren konnten getroffen werden, auch ohne dass der Betroffene persönlich anwesend war. Denn er war in verfahrensrechtlich zulässiger Weise durch einen mit entsprechender Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten. Eine Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit des Betroffenen kam daher nach übereinstimmender Auffassung aller Verfahrensbeteiligten und des Senats nicht in Betracht.
§§ 143 Abs. 4 Satz 2 BRAO, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sind dahingehend zu verstehen, dass die Berufung des Betroffenen nur verworfen werden kann, wenn er in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung abwesend ist und nicht durch einen mit entsprechender Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten ist.
§ 143 Abs. 4 Satz 2 BRAO wurde durch Gesetz vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) angefügt und ermöglicht bei Berufung des Rechtsanwalts im Falle seiner Abwesenheit in der Hauptverhandlung unter bestimmten Voraussetzungen die entsprechende Anwendung von § 329 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 StPO. Nach der bisherigen Rechtslage mussten Berufungsverhandlungen auch durchgeführt werden, wenn der Rechtsanwalt, der die Berufung eingelegt hatte, zu der Verhandlung nicht erschien. Die Neufassung ermöglicht in solchen Fällen in der Regel eine Verwerfung der Berufung durch Urteil. Das dient der Entlastung der Anwaltsgerichtshöfe und der Beschleunigung der Verfahren (Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, 6. Aufl., § 143 Rn. 14). Das bedeutet jedoch nicht, dass ausnahmslos und in jedem Fall allein wegen unentschuldigter Abwesenheit des Betroffenen seine Berufung zu verwerfen ist. Vielmehr gilt auch im Berufungsverfahren bei Abwesenheit des Betroffenen weiter § 143 Abs. 4 Satz 1 BRAO, diese Vorschrift hat durch die vorgenannte Gesetzesänderung keine Einschränkung erfahren, solches lässt sich der amtlichen Begründung zur Gesetzesänderung nicht entnehmen (siehe amtliche Begründung, DB-Drucks. 12/4993 S. 36). § 143 Abs. 4 Satz 1 BRAO aber verweist neben den Vorschriften der Strafprozessordnung über die Berufung u. a. auf § 134 BRAO. Nach § 134 BRAO kann gegen einen nicht erschienen Rechtsanwalt auch in seiner Abwesenheit verhandelt werden. Das bedeutet für die in § 143 Abs. 4 Satz 2 BRAO enthaltene Verweisung auf die nur entsprechende Anwendung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, dass im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof stets ohne den Betroffenen zu verhandeln ist, wenn ein entsprechend bevollmächtigter Vertreter erschienen ist. Nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO kann eine Berufung nämlich nicht als unzulässig verworfen werden, wenn in den Fällen, in denen dies zulässig ist, ein Vertreter des Angeklagten erschienen ist. Dies ist nach den Vorschriften der StPO zwar nur in einer begrenzten Zahl von Fallgestaltungen möglich, z. B. im Fall des § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. Darstellung bei Lutz Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 329 Rn. 15). Ansonsten gilt im Strafverfahren, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten die Hauptverhandlung nicht stattfindet (§ 230 StPO), und dass sein persönliches Erscheinen angeordnet werden kann (§ 236 StPO). Davon abweichend gilt jedoch im anwaltsgerichtlichen Verfahren, auch vor dem Anwaltsgerichtshof, dass der Betroffene niemals zum Erscheinen verpflichtet ist, dies folgt aus § 134 BRAO (Feuerich-Weyland, a.a.O., § 116 Rn. 46). Daher hindert die Anwesenheit eines Verteidigers mit schriftlicher Vertretungsvollmacht gemäß §§ 116 Satz 2, 143 Abs. 4 Satz 1 BRAO, 234 StPO die Verwerfung der Berufung als unzulässig (vgl. Feuerich-Weyland, a.a.O., § 143 Rn. 17; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, München 1997, § 143 Rn. 11; Kleine-Cosack; Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 143 Rn. 8; Jessnitzer/Blumberg, Bundesrechtsanwaltsordnung, 8. Aufl., § 134). Was die Vertretung anbelangt, so setzt sie eine schriftliche Vertretungsvollmacht voraus, die gewöhnliche Verteidigervollmacht reicht dafür nicht aus, die Vertretungsvollmacht kann aber sogleich in oder mit der Verteidigervollmacht erteilt werden. Sie muss nur klar zum Ausdruck bringen, dass der Verteidiger mit der Vertretung des Angeklagten beauftragt ist. Dabei genügt, dass die Vollmacht den Verteidiger dazu allgemein ermächtigt, eine Vollmacht zur Vertretung des Angeklagten "in dessen Abwesenheit" ist nicht erforderlich (Lutz Meyer-Goßner, a.a.O., § 234 Rn. 5). Diesen Anforderungen genügen sowohl die bei den Akten befindliche Vollmacht (Bl. 70 d. A.), die für alle Instanzen gilt und gemäß ihrer Ziffer 3 sich auch auf § 234 StPO bezieht, als auch die im Hauptverhandlungstermin vor dem Senat vorgelegte Vertretungsvollmacht vom 15. Februar 2004 (Bl. 218 d. A.).
Die vom Betroffenen erklärte Beschränkung des Rechtsmittels ist gemäß §§ 143 Abs. 4 BRAO, 318 StPO zulässig. Durch die Beschränkung ist der Schuldspruch des erstinstanzlichen Urteil in Rechtskraft erwachsen, die diesem zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Anwaltsgerichts sind für den Senat verbindlich. Sie sind seiner weiteren Nachprüfung entzogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Seite 3 Abschnitt II bis Seite 8, endend mit: "Im Übrigen ist es mit der Stellung des Betroffenen als Organ der Rechtspflege nicht in Einklang zu bringen, dass er als Rechtsanwalt einen bewusst wahrheitswidrigen Geschehensablauf gegenüber Ermittlungsbehörden abgibt."
Nach den den Schuldspruch tragenden Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils stellen sich die vom Betroffenen gezeigten Handlungsweisen als Verstoß gegen seine Pflicht dar, sich außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. Die Pflichtverletzungen sind in besonderem Maße geeignet, Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
Auch nach der Auffassung des Senats ist aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen unter Berücksichtigung der bisherigen berufsrechtlichen Verfehlungen des Betroffenen die Verhängung der Maßnahme des Verweises und die der Geldbuße geboten und tat- und schuldangemessen. Die Maßnahmen sind zusätzlich neben der vom Amtsgericht Rendsburg im Strafverfahren verhängten Strafe erforderlich, um - wie auch schon das Anwaltsgericht zutreffend festgestellt hat - den Betroffenen zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren.
Bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße hat der Senat abweichend von den vom Anwaltsgericht getroffenen Feststellungen die derzeitigen Einkommensverhältnisse des Betroffenen zugrunde gelegt, wie sie von ihm in einer nicht zu widerlegenden Weise in der Hauptverhandlung vor dem Senat dargelegt und geschildert worden sind. Zwar hat der Betroffene in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht seine Einkünfte aus Rechtsanwaltstätigkeit pauschal als zurückgehend, aber geregelt angegeben. Er hat weiterhin erklärt, aufgrund einer Erbschaft finanziell unabhängig zu sein. Letzteres trifft jedoch nicht zu, wie sein Verteidiger dargelegt hat. Die Erbschaft des Betroffenen besteht aus einem von der Mutter ererbten Haus, in dem er seine Praxis betreibt. Einnahmen aus der Immobilie erzielt er nicht, über Bargeldbestände verfügt er ebenfalls nicht. Der Senat ist davon ausgegangen, dass die durch schriftliche Unterlagen des Betroffenen dargelegten Einkommensverhältnisse für die Jahre 2001 bis 2003 seine wirklichen Einkommensverhältnisse wiederspiegeln dürften. Dass er sich in der Hauptverhandlung vor dem Anwaltsgericht insoweit zurückhaltend geäußert hat, liegt nach Darstellung seines Verteidigers darin begründet, dass er dort nicht hat zugeben wollen, wie schlecht es finanziell um ihn in Wirklichkeit bestellt sei. Unter diesen Umständen hält es der Senat für angebracht, die verhängte Geldbuße von 2.500,-- € auf 1.500,-- € herabzusetzen und ihm Ratenzahlung zu bewilligen. Eine weitere Herabsetzung der Geldbuße kam angesichts der Vorbelastungen des Betroffenen nicht in Betracht.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 2 BRAO. Auch wenn der Betroffene mit seiner Berufung insoweit Erfolg hat, als die Geldbuße herabgesetzt worden ist, erscheint es angemessen, ihm die Kosten des Verfahrens insgesamt aufzuerlegen. Der Berufungsverhandlung hätte es nicht bedurft, wenn der Betroffene seine finanziellen Verhältnisse schon in der Hauptverhandlung vor dem Anwaltsgericht offengelegt hätte.
Die Revision war nicht zuzulassen. Über die behandelte Rechtsfrage zur Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen bestand im Ergebnis Einigkeit zwischen allen Verfahrensbeteiligten.
Ende der Entscheidung
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